Warum ist Alkohol in der Gastronomie so alltäglich?
In kaum einer anderen Branche ist Alkohol so selbstverständlich wie in der Gastronomie – und das nicht nur auf der Getränkekarte. Häufig beginnt der Konsum dabei nicht erst nach Feierabend, sondern bereits während der Schicht: ein Schnaps mit den Gästen, ein Glas um die Nerven zu beruhigen, ein Drink nach Feierabend. Diese Praxis ist tief in der Betriebskultur verwurzelt – hinterfragt wird sie selten.
Der Grund liegt oft in den starken Belastungen der Branche: hohe Taktung, emotionale Daueranspannung und unberechenbare Überstunden lassen wenig Raum für Regeneration. Alkohol wird hier häufig nicht als Laster, sondern als kurzfristige Lösung erlebt – ein funktionaler Begleiter durch einen fordernden Berufsalltag.
„Ich habe nicht getrunken, weil ich feiern wollte. Ich habe getrunken, weil es mir beim Funktionieren geholfen hat. Der Alkohol wurde zum Teil meiner Identität“, erinnert sich Franziska Ehret, die in ihren härtesten Zeiten sowohl mit Stress in der Gastronomie als auch mit den familiären Herausforderungen als alleinerziehende Mutter zu kämpfen hatte. Ihre Erfahrung steht stellvertretend für viele: Alkohol wird zur Strategie, nicht zum Vergnügen.
Welche Folgen hat diese Trinkkultur für die psychische Gesundheit?
Kurzfristig entlastet Alkohol. Langfristig verstärkt er jedoch die Probleme, die er eigentlich zu lösen scheint. Wer regelmäßig trinkt, um Stress zu bewältigen, gerät leicht in einen Kreislauf aus Erschöpfung, Reizbarkeit und Schlafstörungen. In der Gastronomie wird dieser Zustand oft als Normal empfunden – und deswegen nicht als Folge von Alkohol erkannt.
Noch dazu: Der Konsum ist häufig Teil des sozialen Umfelds. Gerade innerhalb von Teams wird das Trinken dabei zum Teil des Gemeinschaftsgefühls. Das erschwert eine gesunde Abgrenzung. „Ich war nicht süchtig – aber ich war gefangen“, sagt Ehret. Gemeint ist die stille Grauzone zwischen Alltag und Überforderung – ein Zustand, der viele betrifft, aber selten sichtbar ist.
Auch Studien zeigen: Selbst moderater, regelmäßiger Konsum erhöht das Risiko für psychische Erkrankungen wie Depression und Burnout. In einer ohnehin belasteten Branche wie der Gastronomie wirkt Alkohol daher oft wie ein Brandbeschleuniger – nicht wie eine Lösung.
Warum spricht niemand offen über das Thema – obwohl es so verbreitet ist?
Trotz seiner Verbreitung ist ungesunder Alkoholkonsum in weiten Teilen der Gastronomie ein Tabuthema. Die Angst vor Stigmatisierung ist groß – ebenso wie die Unsicherheit, ob das eigene Verhalten überhaupt problematisch ist. Wer „funktioniert“, sieht sich selten als betroffen. Vor allem im Vergleich mit seinem Umfeld. Das ist bei Problemtrinkern nämlich oft ebenfalls stark betroffen. Und wer etwas sagen will, steht meist allein da.
Das führt zu einer stillen Duldung innerhalb der Teams. Führungskräfte greifen selten ein – sei es aus fehlendem Bewusstsein, eigener Betroffenheit oder aus Angst vor Konflikten. Noch dazu sorgt ein Mangel an Arbeitskräften oft für eine Abhägigkeit von den vorhandenen Mitarbeitern – ob mit oder ohne Alkoholkonsum ist dabei oft zweitrangig. Die Folge: Ein echtes Problembewusstsein fehlt, ebenso wie präventive Maßnahmen oder geschützte Räume für den Austausch.
Was können Betriebe tun, um ihre Mitarbeitenden zu schützen?
Betriebe haben die Möglichkeit – und Verantwortung –, den Umgang mit Alkohol aktiv zu beinflussen. Nicht durch Verbote, sondern durch Haltung. Es beginnt mit Aufmerksamkeit: Wer im Team achtsam agiert und offen kommuniziert, schafft Vertrauen und senkt die Schwelle für Gespräche.
Konkrete Maßnahmen können sein:
- Führungskräfte müssen mit gutem Beispiel vorangehen
- Alkoholfreie Alternativen gezielt fördern und die Alkoholtoleranz während der Arbeitszeit minimieren
- Stressquellen im Arbeitsalltag identifizieren und minimieren
- Betriebsstukturen entsprechend anpassen
- Schulungen zu Stresskompetenz und Resilienz integrieren Zugänge zu externer Unterstützung anbieten
Eine offene Kultur der Fürsorge kann eine positive Veränderung mit sich ziehen – nicht nur im Akutfall, sondern präventiv. Wer Alkohol nicht tabuisiert, sondern reflektiert, fördert langfristig die Gesundheit aller Mitarbeitenden.
Wie gelingt ein Ausstieg aus der Trinkkultur – ohne Schuld oder Scham?
Nicht jeder, der regelmäßig trinkt, braucht eine Therapie. Aber viele brauchen Anregungen, um ihr Verhalten zu hinterfragen. Veränderung beginnt mit einem Moment der Ehrlichkeit – nicht mit Verdrängung oder Rationalisierung.
„Viele glauben, sie müssten erst am Boden sein, um etwas zu ändern – dabei reicht oft ein ehrlicher Moment mit sich selbst“, so Ehret. Neue Routinen, andere Stressstrategien und ein unterstützendes Umfeld machen Veränderung möglich – ohne Druck, aber mit Klarheit.
Auch der Austausch mit anderen kann ein Schlüssel sein – unbefangen, schamlos und ohne Tabus. Wer merkt, dass es anderen ähnlich geht, fühlt sich weniger allein – und eher bereit, neue Wege zu gehen. Es braucht Räume für diese Gespräche, auch in der Gastronomie. Denn nur was sichtbar ist, kann sich auch verändern.
Viele Unternehmen können hier von Workshops profitieren, die nicht nur aufklären und offene Kommunikation zulassen, sondern auch beim etablieren neuer Strukturen helfen.









